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#Blacklivesmatter

Am Mittwoch meldet sich bei mir die Initiatoren der Initiative „Bremerhaven bleibt bunt“. Sie fragte: „Vivian, könntest du bei unserer Mahnwache 10 Minuten lang etwas sagen zum Thema Rassismus? Dabei ist uns wichtig, dass du über deine Erfahrungen sprichst.“

Natürlich kann ich. Dieses Thema begleitet mich seit meiner Geburt. Meine Mutter ist afrodeutsch, ich selber bin deutlich sichtbar nicht weiß, also eine der so genannten „People of Color“. Wie so viele habe ich erlebt, wie es ist, an bestimmten Tagen bestimmte Orte nicht besuchen zu können. Wieso viele wurde ich mit üblen Schimpfnamen in der Schule versehen. Wie so viele andere hat man auch mich verprügelt, geärgert und gemobbt. Mit vier Jahren konnte ich das Lied „We shall overcome“ singen, und mit fünf wusste ich, wer Martin Luther King ist. Ich habe gelernt, dass Menschen übel sind, weil sie grundsätzlich danach entscheiden, welche Art von Hautfarbe, Haarfarbe oder Augenfarbe man hat.

Eben so übel: Menschen, die einem erzählen, man sei ja genauso wie alle anderen. Aber der Blick in den Spiegel verrät das Gegenteil. Gottseidank kannte meine Mama meine Sorgen, meinen Kummer. Und sie war es, die mir sehr früh den englischen Satz „Black is beautiful“ beibrachte. Das alles fand in der ehemaligen DDR statt. Also einem Land, dass staatlich verordnet gegen Rassismus vor zu gehen vorgab, aber zutiefst rassistisch war. Eigentlich gab es nur einen Ort während meiner gesamten Kindheit, an dem Rassismus keine Rolle spielte. Dieser Ort ist daran schuld, dass ich meinem Arbeitgeber bis heute die Treue halte. Und zwar die evangelische Kirche.

Mittlerweile lebe ich seit mehr als 30 Jahren in Bremerhaven.

Diskriminierung gibt es auch hier. Weil man allein erziehend ist. Weil man homosexuell ist. Weil man anders tickt. Manchmal, weil man ein Kopftuch trägt. Oft, weil man aus einem anderen Land stammt. Viele meiner Bekannten, manchmal auch mir selbst, schlug Diskriminierung entgegen und manche Tür zu. Ganz oft fällt es mir auch gegenüber psychisch erkrankten Menschen auf. Aber Bremerhaven ist besser als sein Ruf.

Ich, Vivian Glade, hatte wegen meiner Hautfarbe nie Diskriminierung am eigenen Leib erlebt, nicht hier, in Bremerhaven.

Ich werde das Problem nicht klein reden. Ich weiß von genügend Beispielen, wo Diskriminierung den Alltag bestimmt und drückt, trotzdem aber gehört auch dazu, von den Chancen zu erzählen. Menschen, wie jene am Samstag, die in Massen zu Antirassismusdemonstrationen gehen. Die aber auch wahrnehmen, dass man eben anders ist, ohne das in irgendeiner Weise als besonders zu empfinden, höchstens als inspirierend und bereichernd. In meinem Freundeskreis habe ich Sinti, Juden, Muslime, Christen und Atheisten. In meinem Freundeskreis befinden sich ausschließlich Menschen, die offenen Herzens auf andere zu gehen. Und ich habe einen großen Bekanntenkreis.

Als Christ glaube ich, dass Jesu Worte Bedeutung haben. Er sagte: „du sollst Gott von ganzem Herzen lieben, und den Nächsten wie dich selbst.“ Als Christ gehört dazu, dass man Finger in Wunden legt und klar macht, wenn Ungerechtigkeit anderen Menschen gegenüber herrscht. Dazu gehört, zu thematisieren, dass in dem Moment, als eine muslimische Frau mit Kopftuch den Bus betritt, jeder seinen Beutel neben sich stellt, damit sie sich bloß nicht neben einen setzen kann. Ich war in diesem Bus, ich habe meine Tasche dann runter genommen und sie zu mir gebeten.

Dazu gehört aber auch, umgekehrten Rassismus zu thematisieren. Nämlich, dass hoch talentierte weiße Sänger oft keine Gospelauftritte bekommen, weil man ihnen nicht zutraut, dass sie Gospel singen können. Und jemand wie ich den Job bekommt. Ein klares Beispiel dafür ist meine Kollegin Lisa aus Göttingen, deren Art zu dirigieren mich sehr an meine schwarzen Kollegen erinnerte. Sie ist hellblond.

George Floyd ist tot. Nahezu 9 Minuten drückte ein Polizist sein Knie in seinen Hals, bis er verstarb. Er ist kein Einzelfall. In den USA ist Rassismus ein „Muttermilchproblem“: Man bringt Menschen von klein auf bei, die anderen zu meiden. Und leider sind Christen dort an vorderster Front beteiligt. Wenig hilfreich ist da der amerikanische Präsident, der zusätzlich Kerosin ins Feuer schüttet. Ich habe keine Worte dafür, wie sehr ich diesen Menschen verachte. Aber der Mann aus Minneapolis und sein Tod haben ein Problem sichtbar gemacht, das alle Menschen haben, die nicht blond und blauäugig sind, im Gegenteil: Je dunkler sie sind, desto größer die Probleme. Es zeigte auf, wo der Unterschied zwischen „Freund und Helfer“ und Feind liegt. Ein schwarzes Kind lernt von Anfang an, Polizei zu meiden. Polizei nicht rufen! Wenn sie kommt, weglaufen. Wenn du nicht weglaufen kannst, nimm die Hände hoch. Generalverdacht gegen Menschen mit afrikanischen Wurzeln, mit lateinamerikanischen Wurzeln.

Und die Coronakrise ist dabei wenig hilfreich. In erster Linie sterben in den USA Menschen mit afrikanischen Wurzeln. Die Ärmsten der Armen sind zuerst dran, weil niemand ihnen hilft. Man könnte jetzt sagen: „Selbst schuld, sie könnten sich krankenversichern“. Aber das System ist so gestrickt, dass sie in ihrer Armut sich das schlicht nicht leisten können. Ist das nicht traurig?

10 Minuten habe ich Zeit, darüber zu sprechen, wie ungerecht diese Welt ist. 10 Minuten sagen können, wie ungerecht Menschen sein können. Aber ist das konstruktiv?

Nein. Es ist ja bekannt. Es geht um die Zukunft. Und zwar miteinander! Und das war, was ich sagen wollte.

Ich wollte die loben, die sich für ein Miteinander einsetzen. Die mit Respekt, anderen Ideen, Lebenssätzen und Menschen gegenüber Zukunft positiv gestalten wollen. Die Schwache schützen und stützen und bereit sind, Fehler zu korrigieren.

250 Menschen hörten mir zu.

Und als ich mit „We shall overcome“ meine Worte abschließen wollte, zeigten viele Hände das Peace-Zeichen. Als Versprechen, dass es nicht um Spaltung gehen darf. Sondern darum, in Frieden glücklich zu sein und einander zu unterstützen, damit alle dieses Ziel erreichen können.